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2. November 2021
Hersteller, Handel, Handwerk, Endkunde – das ist die traditionelle Vertriebskette in der Branche. Doch der Vertriebsweg verändert sich seit Langem schon; durch Direktvertrieb, Online-Handel oder auch Baumärkte, die Montageleistungen anbieten. Das Ganze wird beschleunigt durch die Corona-Pandemie, so eine Befragung der Unternehmensberatung Munich Strategy. In der Studie „Sanitärbranche 2021“ wurden 100 Sanitärverarbeiter zu vier zentralen Handlungsfeldern befragt und aus den Antworten neue Spielregeln für die Branche abgeleitet.
Der Endkunde entscheidet allein
Bild 1 zeigt den Einfluss des Endkunden auf die Kaufentscheidung. In der Corona-Pandemie gab es keine persönliche Beratung, Endkunden informierten sich online. Dies habe manche bestärkt, allein zu entscheiden und keine Vorschläge des Verarbeiters aufzugreifen. Eine Kaufentscheidung im Konsens gibt es bei weniger als der Hälfte der Aufträge, so die Studie 1).
Fazit für Hersteller: Der Endkunde gewinnt als direkter Adressat an Bedeutung. Der Fokus verschiebt sich von der Premium-Verkaufsfläche im Großhandel zu Online-Showrooms, Foren, Testberichten und Bewegbildmaterial. Über Onlinemarketing und unabhängige B2B-Plattformen lässt sich die Reichweite vergrößern. Durch ihre Reichweite und Schlagkraft in der digitalen Marktbearbeitung sind große den kleinen Herstellern überlegen.
Handelsmarke gewinnt im Mittelpreissegment
Bild 2 zeigt die bevorzugten Marken der Verarbeiter. Herstellermarken, das sagt auch die Studie, waren im Großhandel schon vor Corona nicht mehr „alleiniger Orientierungspunkt für Differenzierung, Qualität und Verlässlichkeit“. In der Pandemie nennen die befragten Verarbeiter coronabedingte Lieferengpässe im Großhandel. Markenprodukte seien wegen der längeren Lieferzeiten durch verfügbare Handelsmarken ersetzt worden. Als präferierte Marke des Verarbeiters („Hausmarke“) akzeptierten die Kunden im oberen Preissegment nach wie vor zu 100 % die Herstellermarken. Demgegenüber konnten die Handelsmarken ihre dominierende Position im unteren Preissegment (84 %) leicht ausbauen (86 %). Der Neubau sei das Wachstumsfeld für die Handelsmarke, die Renovierung bleibe ein Thema für die Herstellermarke.
Fazit für Hersteller: Im Mittelpreissegment gibt es kaum Möglichkeiten, sich von den günstigeren Handelsmarken abzuheben. Den Ausschlag gibt die Produktverfügbarkeit. Markenhersteller sollten Lieferfähigkeit zur Maxime erheben, und um sich dem Einfluss des Großhandels zu entziehen, über Multi-Channel-Ansätze eine Durchgängigkeit bis zum Endkunden und Architekten sicherstellen.
Renovierung vor Neubau – Wohn-vor Gewerbebau
Bild 3 zeigt, in welchen Segmenten – Privat oder Gewerbe, Neubau oder Renovierung – die Verarbeiter Aufträge annehmen („Verarbeiterfokus“), wobei die weißen und blauen Balken die anteilige Verschiebung („Shift“) zeigen. Besonders interessiert die Verlagerung vom Neubau hin zur Renovierung („Tendenz“) bei kleinen und größeren Verarbeitern. Die kleineren Verarbeiter, so die Studie, übernahmen verstärkt Renovierungsaufträge, die Nachfrage hier übersteigt die Kapazitäten um ein Vielfaches. Für Endkunden bedeute eine Anfrage beim professionellen Verarbeiter daher lange Wartezeiten. Endkunden könnten alternativ nur auf Generalisten zurückgreifen oder das Projekt als DIY umsetzen.
Arbeitszeit statt Material
Bild 4 geht auf die Installation von durch den Endkunden bereitgestelltem Material („Beistellung“) ein. Diese nimmt zu, die Verarbeiter erzielen ihre Margen über Aufschläge auf die Arbeitszeit, so die Studie. Sie bevorzugen attraktive Aufträge, bzw. sie preisen sich absichtlich ins Abseits. Die hohe Nachfrage im Privatbau führt zu Höchstpreisen, gerade bei kleineren Aufträgen.
Fazit für Hersteller: Endkunden und Verarbeiter vergleichen Preise online. Dies bedeutet für Hersteller tendenziell eine höhere Wettbewerbsintensität, eine negative Preisspirale und geringere Margen. Der Verarbeiter wird hohe Produktpreise eher nicht beim Endkunden durchsetzen – er sichert seine Marge auf andere Weise. Markenhersteller sollen daher konsequentes Monitoring der Onlinepreise betreiben. Um die Preise zu halten, sollen sie auf echte Produktinnovation setzen. Die Verfügbarkeit und steigende Rohstoffpreise im 2. Halbjahr 2021 machen eine strategische Beschaffung zu einem zentralen Erfolgskriterium für Hersteller.
Abschließend sehen die Studienautoren kleinere Markenhersteller vor die größten Herausforderungen gestellt. Deren Vertrieb sei ausgerichtet auf den Verarbeiter, dessen Entscheidungsradius jedoch abnehme. Als weiteren Aspekt verweist die Studie auch auf die steigende Digitalisierung. Diese werde die Konsolidierung der Sanitärbranche weiter vorantreiben. Für Qualitätsmarken, so die Schlussfolgerung, werde das Terrain damit eng. Ihr Fokus müsse auf der Identifizierung von spezifischen Nischen liegen, in denen sie ihre Beziehung zum Verarbeiter weiter ausspielen können.
IKZ-HAUSTECHNIK: Zunächst eine Verständnisfrage: Wie definieren Sie den für die Studie befragten Sanitärverarbeiter, wen haben Sie also befragt? Fachhandwerker allgemein, Firmeninhaber, Gesellen auf der Baustelle, mitarbeitende Meister oder auch Azubis? Und wie wurde die Befragung durchgeführt?
Dr. Constantin Greiner: Für die Studie haben wir Fachhandwerker allgemein in ganz Deutschland über alle Unternehmensgrößen hinweg befragt. Die Befragung wurde leitfadengestützt in Telefoninterviews durchgeführt.
IKZ-HAUSTECHNIK: Laut Studie war in Zeiten der Corona-Pandemie die persönliche Beratung für den Endkunden nicht mehr verfügbar. Kann diese Aussage tatsächlich belegt werden? Unsere Befragungen bei Handwerkern haben immer wieder gezeigt, dass in der Regel „normal“ weitergearbeitet wurde.
Dr. Constantin Greiner: Laut Meinung der befragten Handwerker war eine persönliche Beratung in der Krise nicht wie gewohnt möglich, da sich durch geschlossene Showrooms und die Skepsis seitens der Endkunden deren Verhaltensweisen grundlegend geändert haben. Bei der Durchführung der Projekte wurde größtenteils normal weitergearbeitet.
IKZ-HAUSTECHNIK: Herstellermarken im Großhandel hätten ihren Stand als alleiniger Orientierungspunkt für Differenzierung, Qualität und Verlässlichkeit zu einem großen Teil eingebüßt, heißt es in der Studie. Als eine Ursache werden längere Lieferzeiten bei Markenprodukten genannt. Sehen Sie weitere Ursachen für diese Entwicklung?
Dr. Constantin Greiner: Hier sehen wir zusätzlich die hohe Vergleichbarkeit der Produkte, v. a. ähnliches Design. Der Endkunde kann das Markenprodukt von der Handelsmarke quasi nicht mehr unterscheiden.
IKZ-HAUSTECHNIK: Die Studie sieht eine hohe Relevanz von DIY sowie Online als Vertriebskanal in Richtung Endkunde bzw. Generalist und damit die Notwendigkeit, Verarbeitungsschritte bei Produkten weitestgehend zu vereinfachen. Wäre es nicht im Sinne der Branche zielführender, diese Vereinfachungen für den professionellen Verarbeiter nach vorn zu bringen?
Dr. Constantin Greiner: In der Tat: Die Vereinfachung für den professionellen Verarbeiter und die Möglichkeit der noch schnelleren Verarbeitung bei hoher Qualität sollte stark in den Mittelpunkt gestellt werden. In der Vergangenheit haben die Hersteller an Lösungen dafür gearbeitet, aber es hatte oft nicht die höchste Priorität. Aus unserer Perspektive verlief die Entwicklung auf der Verarbeiterseite deutlich dynamischer. Das heißt, mobile Handwerksbetriebe und ungelernte Verarbeiter, die generalistisch geprägt sind und auf einfache Produkte angewiesen sind, haben rasch an Relevanz gewonnen.
IKZ-HAUSTECHNIK: Es heißt weiter in dem Text: „Über Aufschläge auf die Arbeitszeit gelingt es den Verarbeitern, weiterhin entsprechende Margen zu erzielen. Außerdem wählen sie attraktive Projekte bewusst aus, schieben weniger attraktive Projekte nach hinten oder preisen sich absichtlich ins Abseits.“ Von einer Erhöhung des Stundenverrechnungssatzes oder der Verwendung von Arbeitswerten wie in der Kfz-Branche üblich, steht nichts. Gab es dazu keine Aussagen seitens der Befragten?
Dr. Constantin Greiner: Implizit sprechen wir mit den „Aufschlägen“ auf die Arbeitszeit das Thema „Erhöhung des Stundenverrechnungssatzes“ an. Generell sehen wir den Fachhandwerker aktuell in einer sehr günstigen Position, um seine eigenen Preisvorstellungen durchzusetzen. Zudem erkennen wir, dass dies in der Branche auch gemacht wurde.
IKZ-HAUSTECHNIK: Abschließende Frage: Wie werden die Chancen speziell für kleinere Sanitärhersteller gesehen, gemeinsam mit dem Fachhandwerk attraktive Angebote und Services für den Verbraucher zu entwickeln und durch diesen Mehrwert zu wachsen?
Dr. Constantin Greiner: Kleinere Marken haben unseres Erachtens dann eine Chance, wenn es ihnen gelingt, sich in einer Nische als „Kompetenzmarke“ beim Handwerk zu positionieren. Allerdings wird es für diese Unternehmen sicherlich nicht einfacher, denn die Aufmerksamkeit der Fachhandwerker wird stark von den „Major Brands“ vereinnahmt (vgl. z. B. Geberit oder Viega vs. Mepa oder Sanit).
Die Studie beschreibt die Situation der Sanitärhersteller, gespiegelt durch Erfahrungen der Verarbeiter. Der Endkunde, traditionell Ziel des Vertriebsweges, gerät durch die Recherche im Internet (der Verarbeiter büßt seine Rolle als beratender Fachmann ein) und Onlinebestellungen („Materialbeistellung“) auf die dritte Stufe des Vertriebsweges. Die Hersteller, rät die Studie, sollen den Endkunden direkt ansprechen – mit Onlinemarketing, mit Produkten, die sich leichter verarbeiten lassen (z. B. im DIY oder durch Generalisten).
Welche Schlussfolgerungen sollte das Fachhandwerk ziehen?
1) Die Studie kann für 199,- Euro bestellt werden (Kurzlink: bit.ly/3ABOdxC).
Bilder: Munich Strategy
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