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StartseiteWissenNewsSchadenfälle trotz Einhaltung der DIN
25. März 2020
Oberlandesgericht Hamm sieht Vermutungswirkung einer DIN als widerlegt an. Im Prozess ging es nicht um SHK, es stellen sich grundsätzliche Fragen zur Anwendung einer Norm
Auf Normen und Stellungnahmen des DIN verlassen wir uns seit vielen Jahrzehnten. Ob Produkt-, Anwendungs- oder Prüfnorm – insbesondere im technischen Bereich ist so gut wie alles genormt. Allein im Bereich Sanitär, Heizung, Klima, Elektro gibt es Dutzende wenn nicht sogar Hunderte von relevanten DIN-Normen. In einem Urteil hat das OLG Hamm die Vermutungswirkung1) einer Norm widerlegt. Hat das womöglich Folgen für die SHK-Branche?
Zunächst einmal sei vorangestellt: Im Gegensatz zu Verordnungen, die festgelegte staatliche und parlamentarische Verfahren durchlaufen, sind DIN-Normen das Ergebnis von Arbeitsausschüssen, die sich aus Vertretern von Herstellern, Sachverständigen, Planern, Behörden oder auch Fachhandwerkern (sogenannte interessierte Kreise) zusammensetzen. Sie sind streng genommen „private technische Regelungen mit Empfehlungscharakter“, urteilte der BGH bereits im Jahr 1998.
Und dennoch müssen DIN-Normen mitunter zwingend angewendet werden, etwa wenn sie über die Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen baurechtlich eingeführt sind, weil Gesetze oder Verordnungen darauf verweisen. Oder wenn in Bauverträgen Bezug darauf genommen wird. Doch selbst die Einhaltung einer solchen, baurechtlich eingeführten Norm birgt mitunter Gefahren. Beispiel DIN 4109 (Schallschutz im Hochbau). Die Norm wurde Jahrzehnte lang als Mindestanforderung im Wohnungsbau genutzt – auch dann noch, als sie längst nicht mehr den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprach, weil die Technik längst weiter war, also ein besserer Schallschutz allein durch die am Markt erhältlichen Produkte möglich war. Und weil die Bewohner besonderen Schallschutz etwa in Komfortwohnungen erwarteten. Immer wieder kam es zu Gerichtsurteilen gegen ausführende Firmen, die sich auf die Werte der Schallschutznorm verlassen hatten.
Relevanz von DIN-Normen
Und was heißt das nun für
die Praxis? DIN-Normen können die allgemein anerkannten Regeln der
Technik wiedergeben. Sie müssen das aber nicht per se. Sie können dem
technischen Fortschritt auch hinterherhinken. Unabhängig davon werden
Normen in Streitfällen regelmäßig vor Gericht als Maßstab und
Entscheidungshilfe herangezogen. Soweit zur grundsätzlichen Relevanz
einer DIN-Norm.
Handwerksunternehmer, aber auch Planer üben immer wieder Kritik am Normenwesen. Die Argumente sind durchaus nachvollziehbar:
Gefordert wird von vielen Fachleuten nicht nur ein einheitlicheres und einfacheres Regelwerk, sondern auch ein kostenloser Zugang zu relevanten Normen.
Feuchteschäden trotz Einhaltung der DIN
Kommen wir zum Urteil des OLG. In dem Verfahren (AZ. 12 U 73/2018)2)
verlangte ein Bauherr von dem Bauunternehmer Ersatz des durch
fehlerhafte Abdichtung einer Kelleraußenwand verursachten Schadens. Laut
Bauunternehmer sei eine nach DIN 18195-6 (nunmehr DIN 18533-3)
vorgeschriebene Abdichtung – eine Kombination aus
kunststoffmodifizierter Bitumendickbeschichtung in Verbindung mit einer
wasserundurchlässigen Betonbodenplatte – erstellt worden.
Der Fall ist insofern interessant, weil das Gericht die Frage, ob der Schaden auf einer mangelhaften Ausführung beruht, als nicht urteilsrelevant erachtete. Vielmehr war nach Auffassung des Gerichts die Abdichtung nach der vorgenannten DIN-Norm bereits deswegen mangelhaft, weil diese Lösung nicht den anerkannten Regeln der Technik entsprach. Seine Meinung stützte das Gericht auf die Aussagen eines Sachverständigen, der ausführte, dass die Abdichtung nach DIN 18195-6 nach seiner Erfahrung und nach Ergebnissen einer Umfrage unter mehreren gerichtlich vereidigten Sachverständigen oft zur späteren Feuchteschäden führe. Im Übrigen, so eine weitere Argumentation, seien die DIN-Arbeitsausschüsse nicht paritätisch besetzt, sondern von den einschlägigen Interessensvertretern der Baustoffindustrie dominiert.
Und was sagt das DIN dazu?
Insbesondere diese
letzte Argumentation greift das Deutsche Institut für Normung in einer
Stellungnahme auf: „Die DIN 18195 und die Nachfolgenorm DIN 18533 wurden
– wie alle DIN-Normen – nach DIN-Normungsregularien erarbeitet. Diese
seit Jahren bewährten internen Vorschriften zur Regelung der
Normungsarbeit gewährleisten insbesondere, dass die Normen nicht
zugunsten Einzelner erarbeiten werden, sondern Interessen aller
beteiligten Kreise berücksichtigen. Ein Dominieren des Normungsprozesses
durch Vertreter von bestimmten Branchen ist durch die Ausgestaltung des
Normungsprozesses ausgeschlossen … Vielmehr kommt eine Norm zustande,
wenn sich sämtliche an dieser Norm mitwirkenden Experten unter
Berücksichtigung des technisch Machbaren und wirtschaftlich Vertretbaren
auf eine gemeinsame Version der Norminhalte verständigen…“
Doch wie ausgewogen sind die Arbeitsausschüsse tatsächlich? Es ist kein Geheimnis, dass Praktiker aus Planung und Handwerk zumindest in den SHK-relevanten Ausschüssen rar sind. Vertreter von Handwerksverbänden sind involviert, ja, aber unterm Strich dominieren die Hersteller – und gestalten die Normen dementsprechend. Das muss für eine Norm und dessen inhaltliche Qualität nicht unbedingt negativ sein, es soll an dieser Stelle aber auch nicht unerwähnt bleiben. Ebenso wie der Hinweis, dass das OLG-Urteil unter Sachverständigen kontrovers diskutiert wird.
Zurück zum Fall. Das DIN hat – so heißt es in der Stellungnahme – das Urteil des OLG Hamm zum Anlass genommen, die Normungsarbeit des für die Erarbeitung der DIN 18195 (DIN 18533) zuständigen Arbeitsausschusses im Rahmen eines internen Audits gesondert zu prüfen. In der Zusammenfassung dazu heißt es, „dass die Regelungen der DIN 18195 zur Abdichtungsbauweise KMB / PMBC im Übergang auf WU-Betonbodenplatten betreffenden Aussagen in der Urteilsbegründung des OLG Hamm aus Sicht von DIN nicht zutreffen. Es besteht keine Veranlassung, den bautechnischen Inhalt der DIN 18195 wie auch der Nachfolgenorm DIN 18533 infrage zu stellen. Aufgrund dieser langjährigen bisher im Normungsprozess unwidersprochenen Regelungs- und Anwendungspraxis ist weiterhin davon auszugehen, dass diese Bauweise eine anerkannte Regel der Technik darstellt.“
Und was sagt das Gericht?
„Darauf, dass die DIN
vertraglich vereinbart worden sei, könne sich die Beklagte nicht
berufen, da sie sich für die beabsichtigte Verwendung als untauglich
erwiesen habe und damit nicht dem Vertragssoll entspreche“, heißt es in
der Urteilsbegründung. Im Folgenden heißt es weiter: „Demnach weist die
Werkleistung der Beklagten, ungeachtet der Tatsache, dass die
ausgeführte Abdichtung dem Vertragstext oder DIN-Vorschriften
entspricht, jedenfalls aufgrund ihrer mangelnden Funktionstauglichkeit
nicht die Beschaffenheit auf, die die Parteien – zumindest konkludent –
vereinbart haben.“
Nur zwei Aussagen aus dem Urteilstext. Doch die haben es in sich. Dazu lohnt ein Blick auf unser Gewerk. Betrachtet man etwa die Vorgaben der DIN 1988, dann offenbaren sich hier und dort durchaus Risiken für den Verarbeiter. Beispiel Ausstoßzeiten: Die in DIN 1988-200 genannten Anforderungen an die maximalen Ausstoßzeiten für Kalt- und Warmwasser wurden aus der europäischen Norm DIN EN 806-2 übernommen. Für deutsche Komfortansprüche erscheinen die Werte allerdings wenig geeignet, zudem warnen Experten vor hygienischen Risiken. Das gilt im Übrigen auch für die maximal zulässige Stagnationszeit in der Trinkwasserinstallation (laut VDI 6023 maximal 3 Tage, nach DIN 1988 maximal 7 Tage) oder für Temperaturen im Warmwassersystem (VDI 6023 fordert mind. 60 °C, DIN 1988-200 erlaubt unter bestimmten Anforderungen eine Warmwasser-Temperatur von 50 °C). Praktiker fragen sich schon lange nach dem Sinn solch unterschiedlicher Auslegungen in den Regelwerken, schließlich geht es um nicht weniger als die Gesundheit des Nutzers. Und die sollte unabhängig vom Regelwerk gewährleistet sein.
Was bleibt unterm Strich?
Grundsätzlich, und das
soll an dieser Stelle ausdrücklich betont werden, haben sich DIN-Normen
bewährt. Gleichwohl sind sie streng genommen nur das Ergebnis von
interessierten Kreisen. DIN-Normen benennen zudem lediglich
Mindestanforderungen, andere Regelwerke oder auch Herstellervorgaben
können strengere Anforderungen beinhalten. Auch ist immer ein Blick auf
das Alter der Normen zu werfen. DIN-Normen sollen zwar spätestens alle
fünf Jahre auf Aktualität überprüft werden, aber bis der Inhalt
tatsächlich überarbeitet wird, vergehen mitunter viele Jahre. Der
Baustandard aber schreitet weiter voran – und daran müssen sich Planer
wie Verarbeiter messen lassen. Das Beispiel der DIN 4109 macht deutlich,
was passieren kann, wenn man sich auf eine DIN-Norm verlässt, die schon
in die Jahre gekommen ist. Bei der Anwendung einer DIN-Norm ist daher
stets zu prüfen, ob sie den allgemein anerkannten Regeln der Technik
genügt oder ob es andere, „schärfere“ Regelwerke wie etwa
VDI-Richtlinien oder DVGW-Arbeitsblätter gibt, deren Anwendung sich
empfiehlt. Aber auch hier ist Vorsicht geboten. Denn so manches
Regelwerk hinkt auch hier seiner Zeit hinterher. So wurde die VDI 2054
(Raumlufttechnik-Datenverarbeitung) erst nach sage und schreibe 25
Jahren überarbeitet. Die aktuelle Ausgabe ist im August 2019 erschienen
und ersetzt die Version von September 1994.
Nicht zuletzt sollten die Anforderungen einer Norm niemals bis aufs Letzte ausgereizt werden. Ein gewisser Spielraum sollte für die Unwägbarkeiten der Baupraxis stets vorgesehen werden. Dabei darf eine differenzierte fachliche Betrachtung nicht fehlen. Das Denken nehmen Regelwerke gleich welcher Art dem Fachmann nicht ab.
Literatur:
[1] www.weka-manager-ce.de/ce-kennzeichnung/muessen-normen-eingehalten-werden/
[2] www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/hamm/j2019/12_U_73_18_Urteil_20190814.html
[4] Bericht „Normenkonform reicht manchmal nicht“, IKZ-HAUSTECHNIK Ausgabe 21/2018, Seite 3
[5] Bericht „DIN EN 12831: Praxisanwendung offenbart Fehler“, IKZ-HAUSTECHNIK Ausgabe 18/2004, Seite 20
[6] Bericht „Neuerungen der DIN V 18599 von September 2018“, www.oekozentrum-nrw.de/fileadmin/Medienablage/ PDF-Dokumente/180926_Neuerungen_DINV18599_09-2018.pdf
1) Anmerkung zum Begriff: Vermutungswirkung meint in diesem Fall eine Beweislastumkehr. Durch das Konsensverfahren bei der Erarbeitung einer Norm wird angenommen (vermutet), dass diese fachlich korrekt ist.
2) Urteil nicht rechtskräftig, es wurde Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH eingelegt.
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