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StartseiteWissenNewsAnerkannte Regeln der Technik – Kür oder doch Pflicht?
2. April 2019
Bedeutung von allgemein anerkannten Regeln der Technik und wann die Pflicht zur Anwendung und Einhaltung der Regeln besteht
Sowohl Fachplaner als auch das ausführende Handwerk haben täglich mit „allgemein anerkannten Regeln der Technik“ – kurz a.a.R.d.T. – zu tun. Doch was genau steckt dahinter und wann besteht eine Pflicht zur Anwendung und Einhaltung der Regeln? Und welchen rechtlichen Stellenwert haben die allgemein anerkannten Regeln der Technik? Der vorliegende (Kurz-)Artikel gibt hierzu Antworten. Darüber hinaus steht zum Thema ein umfassender und weiterführender Beitrag des Autors als Download im Anschluss zur Verfügung.
Unter dem Begriff „Technikstandards“ oder „technische Standards“ wird
die generelle Bezugnahme auf die Besonderheiten von Wissenschaft und
Technik verstanden. Die Bezeichnung „Technikstandard“ wird jedoch nicht
einheitlich gebraucht, teilweise wird von den „Regeln der Technik“, von
„Standardnormen“, von „Sicherheitsstandards“ oder etwa von
„Technikklauseln“ gesprochen. Vor diesem Hintergrund hat ein
juristischer Autor festgestellt, dass es 35 unterschiedlich formulierte
Standards gibt, die ein „buntes und geradezu verwirrendes Bild
darstellen“. Ein inhaltlicher Unterschied besteht jedoch nicht. Diese
Bezeichnungen beziehen sich alle auf das, was hier zusammenfassend mit
dem Begriff Technikstandard umschrieben wird.
Um diese „babylonisch“
anmutende Sprachverwirrung – das heißt, die zahlreich verwendeten
Begrifflichkeiten – weitgehend in Einklang zu bringen bzw. zu
definieren, hatte sich bereits vor vielen Jahrzehnten das
Bundesverfassungsgericht mit der Thematik auseinandergesetzt. Dabei
heraus gekommen sind drei Technikstandards, die sich wie folgt erklären
bzw. gegeneinander abgrenzen lassen:
1. Stufe: „allgemein anerkannte Regeln der Technik“
Diese
beruhen auf der herrschenden Auffassung der Fachleute, sind
wissenschaftlich begründet, praktisch erprobt und bewährt und markieren
den qualitativ grundlegenden Standard.
2. Stufe: „Stand der Technik“
Das sind
die jeweils als fortschrittlich zu bezeichnenden Verfahren,
Einrichtungen und Betriebsweisen, die sich noch nicht allgemein bewährt
haben. Allerdings sollen zur Bestimmung des Standes der Technik
vergleichbare Techniken herangezogen werden, die auf Betriebsebene
erfolgreich erprobt worden sind. Diesem Standard fehlt aber noch die
Praxisdurchsetzung.
3. Stufe: „Stand von Wissenschaft und Technik“
Dieser
Technikstandard bezeichnet den Entwicklungsstand fortschrittlichster
Verfahren, die, nach Auffassung führender Fachleute aus Wissenschaft und
Technik, auf der Grundlage neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse, im
Hinblick auf das gesetzlich vorgegebene Ziel, für erforderlich gehalten
werden.
Diese Abgrenzung der Technikstandards voneinander wird heute
auch als 3-Stufen-Theorie bezeichnet, basierend auf der Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG, Beschluss v. 8. August 1978, Az.
2 BvL 8/77).
Wann müssen die definierten Technikstandards eingehalten werden?
In
der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat jenes auch
Vorgaben gemacht, wie der Gesetzgeber die Erkenntnisse und
Entwicklungen von Wissenschaft und Technik im Bereich der Gesetzgebung
berücksichtigen kann, um bestimmte Sicherheitsstandards vorzugeben. Kurz
gefasst kann der Gesetzgeber im Rahmen der sogenannten
Generalklauselmethode Rechtsvorschriften und technische Regeln
verknüpfen. Es handelt sich dabei um eine normkonkretisierende
Verweisung, die in Verbindung mit einem Rechtsbegriff auftritt. Konkret:
Auf Basis der drei definierten Standards kann der Gesetzgeber
festgelegen, dass bestimmte technische Normen diesen Anforderungen
unterliegen und diese damit nutzen, um eine Einhaltung von
Sicherheitsstandards zu gewährleisten.
Von dieser
Inbezugnahmemöglichkeit hat der Gesetzgeber z. B. in der
Trinkwasserverordnung und den Anschluss- und Versorgungsbedingungen für
die Bereiche Trinkwasser, Strom und Gas Gebrauch gemacht. Eine weitere
Bezugnahme auf den Technikstandard „anerkannte Regeln der Technik“
findet sich in § 50 Abs. 4 Wasserhaushaltsgesetz. Danach dürfen
Wassergewinnungsanlagen nur nach den allgemein anerkannten Regeln der
Technik errichtet, unterhalten und betrieben werden.
Tatsächlich
haben aber die vom Bundesverfassungsgericht definierten – und vom
Gesetzgeber so auch verwendeten – Technikstandards noch immer nicht
abschließend Eingang in die Baupraxis gefunden.
Definition und Bedeutung der a.a.R.d.T.
Soweit
ersichtlich, hat im Gegensatz zu anderen Technikstandards der Standard
„allgemein anerkannte Regeln der Technik“ (a.a.R.d.T.) keine
Legaldefinition, weder im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) noch in der
VOB/B erfahren. Mit Novellierung der HOAI im Jahre 2009 wurde in § 2,
Ziffer 12, der Versuch unternommen, die sogenannten fachlich a.a.R.d.T.
zu definieren. Dieser Technikstandard war aber praktisch nicht
handhabbar und hat sich damit in der Praxis nicht durchgesetzt. Mit
Novellierung der HOAI im Jahre 2013 wurde dieser Technikstandard darin
wieder abgeschafft. Schließlich findet sich noch eine Erläuterung des
Begriffes in der Begründung für das Gesetz über technische Arbeitsmittel
und Verbraucherprodukte.
Die heute allgemein verwendete Definition
des Begriffes der a.a.R.d.T. fußt aber nicht auf dem
Bundesverfassungsgericht sondern noch weiter zurück – und heute kaum
vorstellbar, auf einer Entscheidung des Reichsgerichts vom 11. Oktober
1910. Hier zu dem von § 330 Strafgesetzbuch (StGB) in Bezug genommenen
Technikstandard „allgemein anerkannte Regeln der Baukunst“1).
Die Folge daraus ist, dass der heute verwendete Begriff der a.a.R.d.T.
nunmehr mit einer Strafbarkeitsandrohung in § 319 Abs. 1 StGB versehen
ist.
Wann wird eine Regel zur a.a.R.d.T.?
Unter Bezug
auf die vom Reichsgericht vorgenommene Definition der a.a.R.d.T. lassen
sich diesbezüglich folgende Voraussetzungen formulieren, wann eine
technische Regel die Voraussetzungen für das Erreichen des
Technikstandards der a.a.R.d.T. erfüllt:
Die Mehrheit der Fachleute heißt nun nicht, dass gefordert werden
kann, dass sich die technische Regel überall und restlos, das heißt,
ohne Gegenstimmen, bei den Fachleuten durchgesetzt hat. Ein solcher
Anerkennungsgrad wäre in den allermeisten Fällen schlicht unerreichbar.
Der Schutzzweck der a.a.R.d.T. geht vielmehr dahin, eine zuverlässige
Vertrauensgrundlage bezüglich der Qualität einer Bauleistung (auch
Planungsleistung) sowie der Beachtung sicherheitstechnischer Belange zu
gewährleisten. Daher reicht es – schon nach der Rechtsprechung des
Reichsgerichts – aus, wenn die technische Regel die vorherrschende
Ansicht (Mehrheit der technischen Fachleute) in dem jeweils betroffenen
Bereich darstellt. Es kann dabei durchaus vereinzelte, von dieser
Mehrheit abweichende Ansichten unter den Fachleuten geben, die die
Mehrheitsmeinung infrage stellen.
Unter Berücksichtigung der zuvor
genannten Kriterien lässt sich für die a.a.R.d.T. folgende
Kurzdefinition zusammenfassen: Von der Mehrheit der Fachleute
anerkannte, wissenschaftlich begründete, praktisch erprobte und
ausreichend bewährte Regeln zum Lösen praktischer Aufgaben.
Anerkannte Regel = allgemein anerkannte Regel?
Im
Weiteren ergibt sich auch oft die Situation, dass nur von den
anerkannten Regeln der Technik gesprochen wird, anstatt von den
allgemein anerkannten Regeln der Technik (a.a.R.d.T.). Gibt es hier in
der Definition und Bedeutung einen Unterschied? Zusammengefasst lässt
sich festhalten, dass, auch wenn in der juristischen Literatur dazu eine
kontroverse Diskussion geführt wird, es keine Notwendigkeit gibt, einen
Unterschied zwischen diesen beiden Formen zu machen. Somit lässt sich
festhalten, dass der Gesetzgeber, wenn er von den anerkannten Regeln der
Technik spricht, verkürzt auf die a.a.R.d.T. Bezug nimmt. Inhaltlich
lässt sich zwischen diesen Begriffen auch kein Unterschied feststellen.
Ausblick auf weiterführenden Beitrag
Damit der
Baupraktiker die gesetzlichen Vorgaben anwenden und feststellen kann,
welches Anforderungsprofil in seinem speziellen Einsatzfall gilt, muss
er auf die technischen Regelwerke der in Deutschland anerkannten
Normsetzer zurückgreifen. Vor diesem Hintergrund klärt der
weiterführende Beitrag im Internet unter www.ikz.de, Stichwortsuche:
Regeln der Technik, welche Regelwerke zur Bestimmung des
Technikstandards „a.a.R.d.T.“ herangezogen werden können und worauf in
der Praxis insbesondere zu achten ist. Denn Normen sind zunächst keine
Rechtsnormen im gesetzgeberischen Sinne, sondern private technische
Regelungen mit Empfehlungscharakter. Erst wenn sie den Technikstandard
a.a.R.d.T. – unter Beachtung zuvor genannter Kriterien – erfüllen,
erlangen sie durch den Verweis in einer gesetzlichen Vorschrift
verbindliche Geltung.
Im Weiteren wird erläutert, weshalb der
Technikstandard a.a.R.d.T. für die Beurteilung der Mangelhaftigkeit
einer Bau- oder Planungsleistung von so überragender Bedeutung ist.
Hintergrund ist, dass der Bundesgerichtshof in mehreren Entscheidungen
festgelegt hat, dass die Einhaltung der a.a.R.d.T. einen Mindeststandard
im Werkvertragsrecht darstellt, sodass sie jeder Baupraktiker, will er
keinen Gewährleistungsfall produzieren, zu beachten hat. Abgerundet
werden die Ausführungen durch die Darstellung der aktuellen
Rechtsprechung zu Einzelfragen bei Anwendung der a.a.R.d.T. sowie zu der
Gesamtthematik.
Ein Praxistipp zum Schluss: Wenn technische
Regelwerke neu erscheinen, haben diese zunächst einmal nur die
widerlegliche Vermutung für sich, dass sie die anerkannten Regeln der
Technik wiedergeben. Es fehlt noch an der Erprobung und Bewährung der
technischen Regeln in der Praxis. Deshalb ist vorgesehen, derartige
technische Regelwerke nach einem Zeitraum von fünf Jahren noch einmal zu
überprüfen, um festzustellen, ob eine Praxisbewährung gegeben ist. Die
Baubeteiligten haben hier sehr genau zu beachten, ob möglicherweise
geschriebene technische Regelwerke diese Praxisbewährung erlangen oder
eben nicht. Liegt keine Praxisbewährung vor, dann dürfen diese
technischen Regelwerke auch nicht mehr als a.a.R.d.T. angesehen werden.
Das Gleiche gilt, wenn technische Regeln längere Zeit nicht
fortgeschrieben werden und so veralten. Auch hier verlieren diese dann
den Technikstandard a.a.R.d.T..
Autor: Thomas Herrig, Rechtsanwalt und Notar, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, Berlin
1) Die vom Reichsgericht gefundene Definition der a.a.R.d.T. ist unter folgender Fundstelle einsehbar: Reichsgericht, Urteil vom 11. Oktober 1910, Az. IV 644/10, RGSt 44, 75, 78 ff.
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